Zug der Erinnerung Hamburg
Erinnerung
an die von den Nationalsozialisten ermordeten
Kinder, Betreuerinnen und Erzieher
der ehemaligen Hamburger Waisenhäuser
Alice Gramm
Alice Gramm, 2. von rechts

Alice Gramm (*06.02.1908)

Alice Gramm, selbst im Paulinenstift aufgewachsen, betreute dort später mit größter Liebe und Aufopferung die Jüngsten. Mit den letzten Kindern des Waisenhauses am Papendamm wurde Alice Gramm am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert.

   




Noemi Carlebach
Noemi Carlebach (ca 1936) *24.1.1927
deportiert nach Riga 6.12.1941, ermordet 1942
Bild: Privatbesitz von Miriam Gillis-Carlebach
 Sara Carlebach
Sara-Stella Carlebach (ca 1938) *24.10.1928
deportiert nach Riga 6.12.1941, ermordet 1942
Bild: Privatbesitz von Miriam Gillis-Carlebach

Auszüge aus Briefen von Dr. Joseph Carlebach an seine Kinder

Brief vom 8. April 1940

Meine geliebte Mirjam!
….. Im Haus ist es manchmal ganz fröhlich. Am Schabbat kommen immer die kleinen aus dem Paulinenstift zum Frühstück zu uns ins Haus und erzählen uns was vor und bringen viel kindliche Stimmung. Besonders Evas kleiner Liebling, Erwin, klettert an mir hoch und lässt sich in seiner Liebebedürftigkeit ein bißchen verziehen….

Brief vom 5.Oktober 1941

Geliebte Eva!
….. Von den alten Gästen, die sonst bei uns erscheinen, sind nicht mehr viele hier, aber die kleinen Kinder aus dem Paulinenstift und dem Waisenhaus – unter diesen Dein kleiner Freund Erwin – machten uns wieder ihren Besuch. Erwin hängt noch immer an mir wie an einem fehlenden Vater und ließ sich auch nur unter Tränen von der Laubhütte trennen. Die kleine Schar ist auch oft am Schabbat zum Frühstück bei uns zu Tisch, wenn auch jetzt, wo sie ins Waisenhaus übergegangen sind, die Hausordnung einen Dispens nicht gerne sieht. …..

Auszug aus: Miriam Gillis-Carlebach, Jedes Kind ist mein Einziges, Hamburg 2000

Carlebach Ruth
Ruth-Rosa Carlebach (ca 1938) *11.8.1926
deportiert nach Riga 6.12.1941, ermordet 1942
Bild: Privatbesitz von Miriam Gillis-Carlebach

Marion Krauthamer (* 18.04.1924) und Manfred Krauthamer (* 11.03.1928)

Marion und Manfred Krauthamer waren die Kinder von Chaim und Paja Krauthamer. Die Familie lebte bis 1939 am Grindelberg 5.

Im Juli 1939 versuchte die Familie nach Argentinien auszureisen, was jedoch ohne Erfolg blieb. Vermutlich in der Annahme, dass den erst 15 bzw.11 Jahre alten Kindern in Deutschland nichts zustoßen würde und wohl auch in der Hoffnung, die Kinder zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können, emigrierten die Eltern im August 1939 nach Belgien, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen. Die Kinder Marion und Manfred wandten sich daraufhin schutzsuchend an den Direktor der Talmud Tora Schule, Arthur Spier, der am 28. August 1939 das Polizeipräsidium entsprechend informierte. Marion wurde im Paulinenstift, Laufgraben 37, und Manfred im Waisenhaus am Papendamm 3 untergebracht. Zum Zeitpunkt seiner Deportation war Manfred aus nicht näher bekannten Gründen in der Kielortallee 22 (Oppenheimer Stiftung) gemeldet.

In Belgien fielen die Eltern den Deutschen in die Hände, wurden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Marion Krauthamer wurde am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und fand dort den Tod. Manfred Krauthamer musste seine Reise in den Tod mit vielen anderen Kindern vom Papendamm am 11. Juli 1942 antreten. Sie wurden in Auschwitz ermordet.

Quelle: Ursula Randt, Vergeßt uns nicht, in: Lehberger, R. und de Lorent, H.-P. (Hrsg.),Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz, S.325 ff., Hamburg 1986 sowie Recherchen Johann-Hinrich Möller im Staatsarchiv Hamburg

Jacob Fertig (* 16.01.1927)

Paulinenstift Speisesaal
Speisesaal im Paulinenstift, ca 1938

Die im Staatsarchiv Hamburg vorliegende Deportationsliste für den Transport am 11.07.1942 nach Auschwitz beinhaltet unter der Anschrift Papendamm 3 auch den Namen von Jacob Fertig, der 1927 in Mannheim geboren wurde. Im 1995 vom Staatsarchiv herausgegebenen Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Hamburg ist der Name von Jacob Fertig jedoch nicht enthalten, da dem Staatsarchiv keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, ob Jacob Fertig in Auschwitz ermordet wurde oder möglicher Weise den Holocaust überlebt hat.
Eine Anfrage beim Stadtarchiv Mannheim hat ergeben, dass Jacob Fertig von August 1928 bis November 1938 zwischenzeitig mit seiner Familie in Viernheim lebte und am 2.06.1940 nach Hamburg kam. Seine Mutter wurde im Oktober 1940 zunächst nach Gurs in Südfrankreich und im August 1942 nach Auschwitz deportiert. Sie gilt nach Auskunft des Stadtarchivs Mannheim als verschollen. Sein Vater emigrierte nach Palästina. Auch dem Stadtarchiv in Mannheim liegen keine verlässlichen Informationen über das weitere Schicksal von Jacob Fertig vor.
Die „Central Database of Shoah Victims’ Names“ enthält hingegen einen Eintrag über Jacob Fertig, Geburtsjahrgang 1927, mit Hinweis auf Mannheim. Die Datenbank von Yad Vashem bezieht sich auf eine Eintragung im Gedenkbuch des Bundesarchivs in Koblenz. Wir sind daher davon ausgegangen, dass auch Jacob Fertig von Hamburg seine Reise in den Tod antreten musste und Opfer der Shoah wurde.

Esther Ascher (l.) und Ruth Geistlich
Esther Ascher (l.) und Ruth Geistlich
Photo: Privatbesitz Ruth Dräger, geb. Geistlich

Esther Ascher und Ruth Geistlich
- Ermordung und Überleben

Esther Ascher (* 05.09.1928) und Ruth Geistlich (heute: Ruth Dräger) lebten im Waisenhaus am Papendamm und waren als gleichaltrige eng befreundet. Mit anderen Mädchen, die nach den Deportationen vom Herbst 1941 noch am Laufgraben wohnten, zogen sie in das Knabenwaisenhaus am Papendamm. Dort erhielten beide Anfang Juli ihren Deportationsbefehl für einen zum 10. Juli 1942 vorgesehenen Transport nach Auschwitz. Mit Hilfe ihres Großvaters und Unterstützung einer Erzieherin gelang es Ruth, noch am Vorabend ihrer vorgesehenen Deportation aus dem Waisenhaus zu fliehen. Um Spuren zu verwischen, lud der Großvater nicht nur Ruths gesamte Habseligkeiten mit dem schon für die Deportation gepackten Koffer sondern auch ihr Bettgestell nebst Bettzeug auf eine Schottsche Karre und brachte die damals 14-jährige in seine Wohnung.
Der folgende Tag bedeutete für Esther und die restlichen noch am Papendamm lebenden Waisenkinder die Reise in die Vernichtung. Ruth lebte danach für kurze Zeit mit ihren Großeltern in der Wexstraße bis die Gestapo eine Zwangsumsiedlung in die Bornstraße 22 anordnete. Im März 1943 wurde auch Ruth deportiert und 1945 in Theresienstadt befreit. Sie lebt seitdem wieder in Hamburg.

Quelle: Karin Guth, Bornstraße 22 – Ein Erinnerungsbuch, Hamburg München 2001, ISBN 3-935549-06-7 Interview mit Ruth Dräger, geb. Geistlich, am 25.April 2006, geführt von Johann-Hinrich Möller Anmerkung: Das Ziel der Deportation aus Hamburg vom 11.07.1942 wird allgemein mit ‚Auschwitz’ angegeben. Es wird vereinzelt jedoch auch von Warschau gesprochen, vgl. Gottwaldt A., Schulle D., Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941-1945, S. 221 und 395, Wiesbaden 2005

Die Anregung zur Verlegung der Stolpersteine vor den ehemaligen jüdischen Waisenhäusern verdanken wir Frau Dr. Ursula Randt, die uns auch mit umfangreichem Informations- und Bildmaterial unterstützt hat.
Wir danken ferner Herrn Jürgen Sielemann, Staatsarchiv Hamburg, für seine unermüdliche Hilfe bei unseren Recherchen sowie allen Paten, die die Verlegung dieser Steine ermöglicht haben.

Kindergruppe.jpg
Kindergruppe im Paulinenstift um 1940 (namentlich nicht bekannt)

Hamburg, im Juni 2006
Redaktion:
Gunter Demnig
Peter Hess
Johann-Hinrich Möller

Bildmaterial: Privatbesitz Dr. Ursula Randt, soweit nicht abweichend angegeben

Kontakt:
Stolpersteine in Hamburg
Peter Hess
Heimhuder Str. 33
20148 Hamburg
Tel: 040 41 05 162
Email:stolpersteine.hamburg@yahoo.de
Internet:www.stolpersteine-hamburg.de

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